
Der offizielle Titel der Präsentation mit seinen beiden Fragen hatte mich neugierig gemacht. Die Bildung der Zukunft wird schließlich schon seit einigen Jahren einvernehmlich mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) bezeichnet und als nichtstaatliche freiberufliche zertifizierte Bildungspartnerin für Nachhaltige Entwicklung war ich offensichtlich angesprochen.
Allerdings befinde ich mich in einer prekären Situation. Denn meine Arbeit und die unzähliger Kolleg*innen – zumindest hier in Deutschland – wird zwar mit dem Begriff der „non-formalen, informellen Bildung“ auf staatlicher Seite in ihrer Gewichtigkeit hochgepriesen („60-70% aller menschlichen Lernprozesse im Alltag“, „begleitet einen Menschen ein Leben lang“, „entscheidender Bildungsfaktor“) – aber wertgeschätzt sowie angemessen unterstützt und bezahlt werden die Vermittler*innen dieser Bildung nicht (siehe auch Online-Petition „Endlich Geld für wertvolle Arbeit …!“ – bitte gleich unterschreiben!).
Also war ich gespannt: ► Würden der notwendige Wandel des Bildungssystems, die „anspruchsvolle Transformation“ (Ex-Bundeskanzlerin A. Merkel, 2021) im Bericht reflektiert und anschließend auf dem virtuellen Podium angemessen diskutiert werden? ► Und würden die Statements mit klaren Aufrufen an die staatlichen Stellen verbunden sein, eine dauerhafte auskömmliche Förderung der partnerschaftlichen Kooperationen aller nicht-renditeorientierten Bildungsakteur*innen zu etablieren?
Meine Gespanntheit wich – bei allem Respekt für die professionell durchgeführte und moderierte Veranstaltung sowie für die sympathischen Gäste – zunehmend einem Gefühl lähmender Ohnmacht und ich brauchte hinterher eine ganze Weile, bis ich es wieder abgeschüttelt hatte.
Hier die Gründe:
- Das vielbeschworene „gute Teamwork“ beim Thema Bildung fand bereits keine Berücksichtigung in der Vorbereitung des Veranstaltungsformats: In der Schweiz z. B. schlossen sich an die Präsentation drei parallele einstündige Workshops an, in denen der Austausch zu Schwerpunktthemen auch mit den zugeschalteten Veranstaltungsteilnehmer*innen möglich war. – Hier in Deutschland waren wir aufs Zuhören beschränkt und mussten im Chat um die Aufmerksamkeit des Moderators kämpfen, der nur wenige Fragen oder Anregungen ans „Podium“ weiterleiten konnte.
- Leider gehörte zu dem ausgewählten Kreis der Gäste auf dem virtuellen Podium kein*e Vertreter*in des BNE-Partnerforums im BMBF, das hierzulande die Aktivitäten der BNE-Partnernetzwerke aus allen Bildungsbereichen koordiniert. So blieb – abgesehen vom Europäischen Verband für Erwachsenenbildung – ausgerechnet der Sektor völlig außen vor, der im Weltbildungsbericht 2021/22 explizit angesprochen war: die nichtstaatlichen Bildungsakteur*innen.
- Von der Erinnerung an die Wichtigkeit der staatlichen Finanzierung von Bildung für eine echte Bildungsgerechtigkeit, wie sie im Weltbildungsbericht steht und auch noch einmal von einer Diskutantin betont wurde, fühlte sich bei der hier präsenten deutschen Behörden-Allianz offensichtlich niemand angesprochen.
- Auch der bedeutsame Hinweis des Verbandsvertreters für Erwachsenenbildung, dass die Fort- und Weiterbildung als „eine Art Reparaturmechanismus“ gehandhabt würde und auch im Weltbildungsbericht nur zwei Absätze über sie zu finden seien, fand jenseits seiner Forderung nach einer Änderung der Formulierung „educate every child“ zu „educate every human being“ – im Sinne des Lebenslangen Lernens – kein weiteres Echo.
- Mit am erschütterndsten aber: Während das (Bildungs-)System an allen Ecken und Enden knirscht ob seiner starren Strukturen, die zunehmend stärkeren Stürmen von Zukunftsanforderungen ausgesetzt sind – kein Wort zum Whole Institution Approach, der Notwendigkeit einer ganzheitlichen Transformation auch in den Behörden und Lernorten selbst.
Die Pioneers of Education fassen das auf der Webseite ihrer soeben beendeten Bildungsgipfel/22-Veranstaltung „Heile Schule, heile Welt.“ folgendermaßen zusammen: „Immer mehr wird deutlich, dass Bildung, wie wir sie kennen, nicht auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet. Wären nicht so viele Lehrkräfte und Pädagog:innen [und ich ergänze: so viele außerschulische Bildungsreferent*innen, M.P.] so wahnsinnig engagiert, wären unsere Systeme in diesen anstrengenden Zeiten schon längst nicht mehr funktionsfähig. …“ - Und nicht zuletzt: Es fiel kein Wort zu den tiefgreifenden psychischen Belastungen aus Pandemie, Klimakrise und mit ihr einhergehender Verzweiflung („Ökologische Trauer“), Kriegswolken am Horizont, Anpassung an eine globalisierte Wirtschaft, Digitalisierung usw., mit denen Kinder und Jugendliche, aber auch die erwachsenen Bildungsakteur*innen alltäglich umzugehen haben – ohne dass diesen Belastungen ausreichend Zeit und gesellschaftlicher Raum zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt werden. „Die in der Pandemie getroffenen Maßnahmen haben für Kinder und Jugendliche negative Auswirkungen“, konstatiert gerade wieder die jüngste Stellungnahme des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Und: „Noch nie stand mehr auf dem Spiel als jetzt“, ruft uns aktuell auch der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC im 6. Sachstandsbericht zu.
Wahrlich: Die alten staatlichen Bildungssysteme können den Spagat zwischen all diesen stetig wachsenden Anforderungen und der parallelen anspruchsvollen Transformation unmöglich alleine leisten!
Doch gibt es längst auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene Beispiele guter und bester Praxis für Netzwerke, neue Allianzen und Kooperationen jenseits des Sektors privater renditeorientierter Anbieter*innen (siehe unter anderem Akteurskarte BNE, Netzwerke bei Engagement Global, NUN-Netzwerk, RENN-Netzwerk).
Sie brauchen für die Verstetigung ihrer Arbeit und der Ergebnisse eine kontinuierliche, bundesländer-übergreifende, niedrigschwellig abrufbare Finanzierung statt der immer noch vorherrschenden „Projektitis“ (die doch schon längst überwunden sein sollte).
Deshalb immer wieder die nachdrückliche Aufforderung an Sie, sehr geehrte Bundesregierung: Bilden Sie als Grundstock für eine faire Bezahlung der professionellen nicht-renditeorientierten Bildungsakteur*innen, für die erforderlichen Kooperationen und Gestaltungsräume und für alle notwendigen Arbeitsmaterialien den „1-MILLIARDE-EURO-ZUKUNFTSFONDS Außerschulische Bildung für Nachhaltige Entwicklung“!