Kleine Nachhilfestunde für Christian Lindner

Auf den Verlust welchen „Wohlstands“ will der amtierende Bundesfinanzminister die deutsche Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine vorbereiten? Hat er denn noch gar nicht gemerkt, wieviel Wohl-Stand uns allen bereits seit Jahrzehnten verloren gegangen ist – insbesondere durch die von ihm so vehement vertretene liberal-kapitalistische „Marktwirtschaft“?

Wohlstand bedeutet auch Vielfalt auf allen Ebenen
(Foto: Ellenberg´s Kartoffelvielfalt / Plantura Garden)

Eines stimmt: Unter dem zwanghaften Wirtschaftswachstumsdogma der letzten 70 Jahre ist das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland stetig angewachsen (Statista 2022).

Wie in dem Märchen Des Kaisers neue Kleider ist den Menschen in all dieser Zeit vorgegaukelt worden, dass damit auch ihr „Wohlstand“ gestiegen sei – dabei meinte das nur, dass ihnen immer mehr Geld für immer mehr Konsumgüter aus der Tasche gezogen wurde, während gleichzeitig ein gigantischer Verarmungsprozess seinen Lauf genommen hat.

Denn der vermeintlich gewachsene Wohlstand war nur möglich auf Kosten eines stetig zunehmenden Un-Wohlstands weiter Teile der gesamten Erdbevölkerung und der Natur …

Ein paar Beispiele, Herr Lindner?

  • Es wird immer einsamer um uns herum. Bis zu 1 Million (!) Arten sind weltweit vom Aussterben bedroht, viele davon bereits in den nächsten Jahrzehnten; das Artensterben läuft zudem immer schneller ab (Internationaler Biodiversitätsrat IPBES 2019). In Europa haben wir z. B. in den vergangenen 40 Jahren allein über 600 Millionen (!) Singvögel verloren – den „leisen Tod“ hat es der Bund für Natur und Umweltschutz (BUND) aus Anlass des diesjährigen Tags des Artenschutzes genannt.
  • Mit den schrumpfenden Lebensgrundlagen unserer Mitbewohner*innen schrumpfen natürlich kontinuierlich auch unsere eigenen (nachfolgend einige Blitzlichter):
»Agraratlas – Infografik – Bestäubung Honigbienen« 2019
Abbildung: Bartz/Stockmar
  • Eine immense Anzahl perfekter natürlicher CO2-Speicher ist durch uferloses menschliches Wirtschaften zerstört wurden: Die weltweite Waldfläche schrumpft dramatisch und über 85 % (!) der Moor- und Sumpfgebiete, Feuchtwiesen, Auen und Gewässer sind in den letzten 300 (!) Jahren verloren gegangen (IPBES 2019). Diese Speicher sind durch keine noch so innvative menschliche Technologie zu ersetzen.
  • Im letzten Jahrhundert verschwanden rund 75% (!) der weltweiten Nutzpflanzen. Die unfassbare Vielfalt lokal angepasster Kultursorten wird zunehmend durch wenige kommerziell standardisierte Sorten von nur 4 (!) global aktiven Monopolkonzernen für Saatgut ersetzt (FAO/Deutsche Welle 2021).

Ich wiederhole also meine Frage noch einmal, Herr Lindner: Haben Sie alle diesbezüglichen Berichte übersehen? Wir leben schon lange nicht mehr im „Wohlstand“. Ihr Blick ist fixiert auf Zahlen, die nur den materiellen Teilbereich menschlichen Wohl-Lebens beschreiben, und damit lenkt er Sie auch nur zu eingeschränkt tauglichen Schlüssen und Taten.

Mit einem schnellen Blick in die freie Internet-Enzyklopädie Wikipedia werden Sie feststellen, dass Wohlstand per definitionem materielle UND immaterielle Einflussfaktoren hat, also natürlich auch eine intakte Umwelt, die Bewahrung der Vielfalt und die Wahrung global verabredeter ethischer, kultureller und gesellschaftlicher Werte umfasst.

Und dann empfehle ich Ihnen zur Inspiration noch wärmstens das Konzept des „Buen Vivir“ , des wirklich „Guten Lebens“ – z. B. auch in diesem Audio!

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